Im Zuge des Klimawandels und der hohen Nachfrage im Handel erfreut sich die Süßkartoffel steigendem Interesse im deutschen Anbau. Auch bei der Reichenau-Gemüse eG, Deutschlands südlichster Erzeugergenossenschaft, steht das wärmeliebende Wurzelgemüse nun hoch im Kurs. Die Kultur wird bereits seit etwa zehn Jahren nach Öko-Richtlinien kultiviert, doch im vergangenen Jahr hat man die Lagertechnik und -kapazitäten auf modernstem Stand gebracht. Dank dieser Investition soll der Handel jetzt das ganze Jahr über mit Reichenauer Bio-Süßkartoffeln beliefert werden können, erwarten Süßkartoffelerzeuger Benjamin Wagner und Christian Müller, stellvertretender Geschäftsführer der Reichenau eG.
Im vergangenen Jahrzehnt hat Wagner seine Produktion peu à peu erweitert und optimiert. "Dennoch hatten wir nie einen Ertrag, der annähernd unseren Vorstellungen entsprach, was vor allem der kurzen Vegetationszeit in Deutschland geschuldet ist. Im vergangenen Jahr hatten wir dann mit einem Netto-Ertrag um 2 kg/m² erstmals eine gute, vermarktungsfähige Erntemenge. Auch mit den Qualitäten und Kalibern sind wir äußerst zufrieden. Von 50 bis 900 Gramm ist alles dabei. In einem kalten Jahr werden sie allerdings nicht schwerer als 300 Gramm", so Wagner, der das Knollengemüse auf 120 Hektar kultiviert und damit als einziger Süßkartoffelerzeuger in der Region die gesamte genossenschaftliche Produktion verantwortet. Mittlerweile hat der innovative Bio-Landwirt ebenfalls eine eigene Jungpflanzenproduktion aufgezogen, was ihm den Mitbewerbern gegenüber abermals einen Vorsprung gebe.
Ganzjährige Versorgungssicherheit
Nicht nur auf Produktionsseite habe man Investitionen getätigt, sondern auch auf Vermarktungsebene, betont Müller. "60 Prozent des deutschen Bio-Süßkartoffelanbaus spielt sich bei uns ab und wird von Herrn Wagner dargestellt. Dementsprechend haben wir auch eine große Steuermasse, die wir im deutschlandweiten LEH platzieren müssen. Neben der losen Vermarktung bieten wir seit Neuestem auch verpackte Süßkartoffeln im 650-Gramm-Papierflowpack an, die wir auch mit Zubereitungs- und Verarbeitungsmöglichkeiten versehen haben. Hiermit bieten wir dem Handel nun auch eine verbraucherfreundlichere Verpackung mit Süßkartoffeln der feineren Sortierung an, vergleichbar mit Drillingen im Kartoffelregal. Wir hoffen, damit auch neue Verbraucher für das Produkt zu gewinnen."
Sämtliche Investitionen sollen insbesondere in der zweiten Saisonhälfte Früchte tragen, fährt Müller fort. "Unser Ziel ist es, durch die modernen Lagerkapazitäten bereits in diesem Jahr eine ganzjährige Versorgung zu gewährleisten. Wir stellen fest, dass im März und April die letzten heimischen Mitbewerber vom Markt verschwinden, weshalb auch Abnehmer außerhalb Süddeutschlands vermehrt auf unsere Ware zugreifen werden. Das ist auch notwendig, denn nur in Bayern und Baden-Württemberg können wir die hier erzeugte Menge nicht bewegen."
Reichenau-Chef Johannis Bliestle zeigt frisch geerntete Süßkartoffeln. Angeboten werden die Knollen am PoS als Bioland- sowie Naturland-Ware. Tendenziell eignet sich die Ware mit einem Stückgewicht ab 300 Gramm am besten für die lose Vermarktung, während die Ware unter 300 Gramm vor allem im Packbereich Verwendung findet.
Anspruchsvolle und pflegeintensive Kultur
Im Dezember werden die Mutterpflanzen produziert und im März und April folgen die Süßkartoffeljungpflanzen. Im Mai erfolgt dann die Pflanzung, skizziert Wagner den Zeitplan. Den ganzen Oktober hindurch wird dann normalerweise geerntet, woraufhin die Ware eingelagert wird. Anschließend gelangen die Knollen in den Curingraum: Bei diesem Prozess werden die Süßkartoffeln für mehrere Tage bei über 30 °C und einer Luftfeuchtigkeit von mindestens 90 Prozent gelagert. In dieser Zeit verheilt die Knolle, die Schale wird fest und wird lagerfähig für die kommenden Monate. Wagner: "Am liebsten würde ich erst im November ernten. Das ist mir aber zu riskant, denn einige Tage unter fünf Grad wäre katastrophal für den Bestand."
Wenn man den gesamten Anbau- und Ernteprozess betrachtet, sei die Süßkartoffel eine äußerst anspruchsvolle und pflegeintensive Kultur, gibt Wagner zu bedenken. "Das heißt, wir werden mit einem hohen Kostendruck konfrontiert, wobei vor allem die Lohnkosten zu Buche schlagen. Mit den Billigstimporten aus dem Ausland können wir demnach preislich überhaupt nicht mithalten. Zu diesen Konditionen können wir mit unserer Kostenstruktur nicht produzieren. Am Ende entscheidet dann der Verbraucher, ob er Wert legt auf regionale Produkte. Gleichzeitig werden die Lieferketten aus dem Ausland auch zunehmend schwieriger. Bei der Kaufentscheidung des Verbrauchers spielt letztendlich auch mit, dass die kürzeren Transportwege bei heimischer Ware aus Sicht der Nachhaltigkeit und Ökologie, gerade bei Bio-Erzeugnissen, sinnvoll sind."
Zukunftspotenzial in der Weiterveredelung
Trotz der erfreulichen Zuwächse in der heimischen Produktion gibt es weiterhin viele Herkunftsländer, die ihre Ware in Deutschland vermarkten wollen. "Wir sind uns dessen bewusst und spüren diesen Vermarktungsdruck zum Teil auch. Schon allein auf der Biofach wurden bereits Bio-Süßkartoffeln aus zahlreichen Ländern angeboten. Wir hoffen natürlich, dass sich unsere Partner im LEH der Regionalität und langfristigen Zusammenarbeit besinnen. Bio und Regionalität gehen schließlich immer noch Hand in Hand und wir haben insofern den Vorteil der kürzeren Transportwege und der unmittelbaren Nähe zum Absatzmarkt. Andererseits ist die Süßkartoffel ein Lagerprodukt, bei dem es keine große Rolle spielt, ob der Transport ein oder zwei Tage länger dauert.
Insgesamt blickt Müller zuversichtlich nach vorn: "Die Süßkartoffel ist ein absolutes Trendprodukt. Wir bewegen uns mit einem Marktanteil von 60 Prozent bereits auf einem sehr hohen Niveau. Potenzial sehe ich also weniger in der Menge, sondern vielmehr in der weiteren Verarbeitung der Süßkartoffel zu Nebenprodukten wie Pürees, Gnocchi oder Maultaschen. Insofern sind viele Möglichkeiten vorhanden, das Produkt weiter salonfähig zu machen." Wagner stimmt dem zu und bestätigt, in Zukunft eine Weiterverarbeitung auf dem eigenen Hof anzustreben. "Ich bin aber auch offen für weitere, alternative Nischenkulturen, die mit weniger Energie auskommen und wir im Idealfall auch ganzjährig vermarkten können."
Weitere Informationen:
Christian Müller
Stellv. Geschäftsführer
Reichenau-Gemüse eG
Tel.: +49 7534 9200-31
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www.reichenaugemuese.de
Benjamin Wagner
Bio-Gemüse Wagner GbR
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