Im Laufe des Jahres 2025 geht "Countryside" der Bodengesundheit auf den Grund, genauer der regenerativen Landwirtschaft. Das ist der 2. Beitrag einer Jahres-Serie, welche diese aufkommende landwirtschaftliche Praktik verständlich erklärt.
Bei meinen Versuchen, die regenerative Landwirtschaft zu erklären, stellte ich fest: Ich könnte genauso gut einen Pudding an die Wand nageln. Das Spektrum der regenerativen Landwirtschaft ist extrem weit. Es reicht von praxisnahen und marktfähigen Ansätzen bis zu radikalen Visionen:
- Auf der praxisnahen Seite stehen pragmatisch-wissenschaftliche Persönlichkeiten wie Gabe Brown und David Montgomery (beide in den USA), die sich auf messbare Ergebnisse und wirtschaftliche Machbarkeit konzentrieren.
Aber auch Europäer wie Peter Fröhlich und Ueli Rothenbühler (beide CH), Christoph Gutscher und Gerhard Weisshäupl (beide A), Dietmar Näser und Rudolf Axel Vohwinkel (beide DE). Mit ihnen werde ich im Laufe des Jahres Interviews führen. - Auf der visionären Seite stehen ideologisch-philosophisch-spirituell geprägte Akteure wie Vandana Shiva (Indien) und Masanobu Fukuoka (Japan). Aber auch die Demeter-Bewegung, die auf der esoterischen Anthroposophie von Rudolf Steiner basiert.
In meiner Serie fokussiere ich auf die praxisnahen und marktfähigen Ansätze der regenerativen Landwirtschaft. Um einen Landwirt zu zitieren, den ich bei diesen Recherchen kennen gelernt habe: "Wenn ich Visionen habe, nehme ich ein Aspirin und gehe wieder schlafen."
Die regenerative Landwirtschaft in 10 Punkten erklärt
Im 1. Teil der Serie ("Was ist regenerative Landwirtschaft und wie hilft sie der Bodengesundheit?") zeigte ich, wie die regenerative Landwirtschaft entstanden und wie stark sie weltweit und in den deutschsprachigen Ländern schon verbreitet ist.
In diesem 2. Teil der Serie versuche ich, den Pudding an die Wand zu nageln. Also die regenerative Landwirtschaft in zehn Punkten zu erklären.
- Regenerative Landwirtschaft fördert den Bodenaufbau und Humusreichtum durch minimale Bodenbearbeitung sowie durch Kompostieren und Mulchen (Bedecken des Bodens mit unverrotteten organischen Materialien).
- Regenerative Landwirtschaft erhöht die Biodiversität (Artenvielfalt) mit Mischkulturen, Agroforstsystemen und Heckenlandschaften.
- Regenerative Landwirtschaft fördert den Wasserrückhalt durch den Aufbau des Humusgehaltes im Boden. Damit werden die Wasserressourcen in wasserarmen Regionen effizienter genutzt.
- Regenerative Landwirtschaft bindet das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid CO₂ langfristig durch den Aufbau von Humus im Boden und Agroforstwirtschaft.
- Regenerative Landwirtschaft fördert mit dem Anbau von nährstoffreichen, Pflanzenschutzmittelfreien Lebensmitteln die gesunde Lebensmittelproduktion.
- Regenerative Landwirtschaft fördert regionale Wirtschaftskreisläufe durch kurze Lieferketten. Vor allem in Ländern und Regionen wie der Schweiz, Österreich und Süddeutschland mit ihrer kleinstrukturierten Landwirtschaft.
- Regenerative Landwirtschaft fördert mit der Integration von Viehwirtschaft in den Pflanzenbau die Kreislaufwirtschaft und minimiert Abfälle.
- Regenerative Landwirtschaft erhöht die Widerstandsfähigkeit der Landwirtschaft gegen Dürre, Starkregen und andere Klimaveränderungen.
- Regenerative Landwirtschaft ersetzt Kunstdünger (Stickstoffdünger) und Pflanzenschutzmittel durch natürliche, organische Alternativen und Präzisionslandwirtschaft, um Ökosysteme zu schützen.
- Regenerative Landwirtschaft fördert den Wissenstransfer und die Zusammenarbeit unter LandwirtInnen, um innovative regenerative Praktiken weiterzuentwickeln und umzusetzen.
Mit diesen zehn Punkten soll die regenerative Landwirtschaft zukunftsfähig, produktiv und umweltfreundlich sein. Gleichzeitig soll die regenerative Landwirtschaft zur Lösung globaler Herausforderungen wie Klimawandel und Ernährungssicherheit beitragen.
Kritiker der regenerativen Landwirtschaft bemängeln fünf Punkte
Wo viel Licht ist, da ist auch starker Schatten. Das schrieb schon Johann Wolfgang Goethe in seinem Historiendrama "Götz von Berlichingen". Auch die regenerative Landwirtschaft hat ihre Kritiker. Diese kritisieren vor allem fünf Punkte:
- Die regenerative Landwirtschaft erfordert Investitionen in neue Technologien, Schulungen und Umstellungszeiten. Das können sich kleinere Betriebe oft nicht leisten.
- Die regenerative Landwirtschaft benötigt mit ihren Mischkulturen, Agroforstsystemen und der extensiven Viehwirtschaft oft mehr Fläche als die intensive Landwirtschaft.
- Die regenerative Landwirtschaft erfordert oft mehr manuelle Arbeit und spezialisierte Fachkenntnisse.
- Die regenerative Landwirtschaft kann geringere Erträge liefern als die intensive Landwirtschaft, insbesondere in der Umstellungsphase.
- Die positiven Effekte der regenerativen Landwirtschaft auf Bodenfruchtbarkeit und Biodiversität sind oft erst nach mehreren Jahren sichtbar.
Diese Kritik tönt plausibel. Im Laufe der Serie werde ich der Frage nachgehen, ob die Protagonisten der regenerativen Landwirtschaft darauf eine Antwort haben – oder ob man diese Nachteile mit Blick auf das Ganze akzeptieren muss.
Regenerative Landwirtschaft im Vergleich mit integrierter Produktion, Bio und Demeter
Welche Gemeinsamkeiten hat die regenerative Landwirtschaft mit den bekannten landwirtschaftlichen Praktiken? Welche Unterschiede trennen die regenerative Landwirtschaft von integrierter Produktion (in der Schweiz: IP-Suisse), Bio-Landwirtschaft und Demeter (biologisch-dynamische Landwirtschaft)?
Gemeinsamkeiten
- Alle vier Praktiken streben eine nachhaltige Landwirtschaft an. Nachhaltig in dem Sinne, dass sie Umwelt, Böden und Ökosysteme schützen und regenerieren.
- Alle vier Praktiken vermeiden den Einsatz von synthetischen Düngern und Pflanzenschutzmitteln weitgehend bis vollständig.
- Alle vier Praktiken setzen häufig Methoden wie Kompostierung, Fruchtfolge und Mulchen zum Schutz und der Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit ein.
- Alle vier Praktiken legen Wert auf die Erhaltung und Förderung der Artenvielfalt bei Nutzpflanzen und Wildtieren.
- Alle vier Praktiken betrachten die Landwirtschaft nicht nur als Nahrungsmittelproduktion, sondern als Teil eines umfassenden Ökosystems.
- Alle vier Praktiken halten Nutztiere in artgerechter Weise, wobei die Richtlinien von IP-Suisse, Bio und Demeter strenge Standards für Tierhaltung haben.
- Für alle vier Praktiken sind regionale Kreisläufe und kurze Lieferketten zentrale Elemente, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu gewährleisten.
Unterschiede
- Die regenerative Landwirtschaft ist praxisnah und ergebnisorientiert, ohne eine einheitliche Philosophie oder Ideologie. Sie hat kein festes Regelwerk und keine einheitliche Zertifizierung. Die Methoden können flexibel angepasst werden und variieren stark zwischen den Betrieben. Die regenerative Landwirtschaft fokussiert auf Bodenaufbau und Klimaschutz durch Humusbildung.
- Die Integrierte Produktion (in der Schweiz IP-Suisse), ist ein nachhaltiger Ansatz, der ökologische und ökonomische Ziele miteinander verbindet. Sie basiert auf klar definierten Richtlinien. Im Unterschied zu Bio- oder Demeter-Standards erlaubt IP-Suisse gezielte Eingriffe, um wirtschaftliche Rentabilität und Nachhaltigkeit gleichermaßen sicherzustellen.
- Die Bio-Landwirtschaft basiert auf rechtsverbindlichen, vereinseigenen Regeln und EU-Bio-Verordnungen. Der Fokus liegt auf nachhaltigen, umweltfreundlichen Standards für Produktion und Verarbeitung.
- Die Demeter-Landwirtschaft hat noch strengere Vorgaben als Bio, unter anderem die Pflicht zur biodynamischen Präparatverwendung und ein geschlossener Hofkreislauf. Demeter ist tief in der anthroposophischen Philosophie von Rudolf Steiner verwurzelt. Demeter integriert spirituelle und kosmische Elemente, wie den Einsatz von biodynamischen Präparaten.
Im Laufe des Jahres werde ich die regenerative Landwirtschaft immer wieder mit integrierter Produktion, Bio und Demeter vergleichen. Am Ende der Jahresserie 2025 werde ich auch diese Punkte überprüfen und in einem Abschlussbericht korrigieren oder ergänzen.
Text & Bilder: Jürg Vollmer
Weitere Informationen:
https://www.countryside.info/